Der Sühnestein des Peter Swyn
Am Kreuzweg im Lundener Moor stand dieser Stein lange Jahre, um an die Bluttat zu erinnern, der Peter Swyn 1537 an jener Stelle zum Opfer fiel. Als einflussreicher Politiker hatte Swyn die Aufhebung von Blutrache und Meineid unterstützt. Auch war es seine Absicht, wegen wachsender außenpolitischer Bedrohung die Steuern zu erhöhen. Beides trug ihm den Hass der rivalisierenden Russebolingmannen ein, die ihn auf dem Rückweg von einer Kirchspielsversammlung heimtückisch ermorden ließen. Wie dies geschah, ist auf dem unteren Teil der Stele dargestellt: Ein bewaffneter Mann hat sein Opfer vom Pferd gerissen und holt mit einem Dolch weit aus, um den am Boden liegenden Regenten der Dithmarscher Bauernrepublik zu erstechen.
Die Mörder Peter Swyns wurden gefasst und hingerichtet, die Anstifter des Mordes allerdings sollen aus dem Lande geflohen sein.
Der »Vater des Vaterlandes«
ANNO CHRISTI / MDXXXVII AM DAGE MARIE HEMELVART / DEN XV AVGVSTI IS / HIR PETER SVIIN BEGRAVEN WORDEN. PATER PATRIAE / H.S.E.
Dies ist der eigentliche Grabstein. von Peter Swyn, der ursprünglich an einem anderen Platz lag. Welche Verehrung er in Dithmarschen genossen hat, lässt sich an der Inschrift »pater patriae« ablesen - »Vater des Vaterlandes« - eine Bezeichnung, die üblicherweise für Fürsten verwendet wurde. In der Schlacht bei Hemmingstedt erbeutete Peter Swyn ein kostbares Ritterwams aus Samt und Seide, dies trug er fortan zu seinen weiten Leinenhosen. Als sich hochmütige Hofteute darüber lustig machten, antwortete er ihnen selbstbewusst, das Wams trage er als Landesherr, die selbstgewebten Hosen als Bauer. Die Buchstaben H.S.E. kürzen das Lateinische »heredes sui erexerunt« ab, was bedeutet: »Seine Erben haben es (das Grabmal) errichtet.« Auf seinem eigenen Schiff war Peter Swyn 1522 zu einer Wallfahrt nache Santiago de Compostela ans Grab des Heiligen Jakobus aufgebrochen, um für seine Beteiligung an einer blutigen Fehde, bei der einem Priester ein Bein abgeschossen worden war, zu büßen.
Arm und Reich
Der schon damals große Gegensatz zwischen Arm und Reich lässt sich am Kontrast zwischen den kostbar geschmückten Grabplatten und aufwändig gestalteten Grüften einerseits und dem gänzlichen Fehlen einer Erinnerung an das Leben und den Tod des armen Teils der Bevölkerung ablesen. Nur die Reichen konnten sich der Nachwelt in Erinnerung rufen, indem sie sich auf diesem Friedhof ein Grabmal als Denkmal setzen ließen.
Die Armen bleiben namen- und spurlos. Bis ins 19. Jahrhundert wurden sie
hier, auf dem südöstlichen Ende des Friedhofs bestattet. Daher heißt dieser Teil auch »Armen- oder Glockenberg«. Ein hölzerner Glockenturm hat hier für einige Zeit gestanden.
Nannenstele – Das Jüngste Gericht
Diese Stele von 1588 ist der prächtigste Stein der drei Grabsteine für die Familie der Nannen. Auf der Vorderseite befindet sich die Darstellung des Jüngsten Gerichts. Über den Wolken thront der segnende Christus auf einem Regenbogen, umgeben von betenden, erlösten Menschen. In den Wolken schweben zwei posauneblasende Engel, unter den Wolken werden die Verdammten von Teufeln in die Hölle getrieben, die durch einen aufgerissenen Rachen symbolisiert wird. Im Hintergrund züngelt das höllische Feuer. Die Namen der Verstorbenen sind auf der Rückseite der Stele aufgelistet — einige Male wird der Titel »regente« erwähnt, den die Männer als Mitglieder des »Rates der 48er« trugen. Als Stammvater der Lundener Nannen ist Olde Peters Hans Nan zuerst genannt. Sein Sohn Claus unternahm eine Wallfahrt nach Jerusalem und wurde dort zum Ritter geschlagen, daher der Zusatz »Jerusalemsritter«
Engel als Wegbegleiter der Verstorbenen
Wie auch viele weitere Grabsteine auf dem Lundener Kirchhof zeigt dieser Stein der Familie von Karsten Russe Denker als zentrales Bild einen großen, freundlich blickenden Engel, der die Wappenschilde der Verstorbenen, jeweils von Mann und Ehefrau, in den Händen hält. Häufig steht er eingefasst in einem Torbogen. Einige Male trägt er einen Stab in der Hand und ist stets mit einem weiten Faltengewand bekleidet. Die christliche Bildersprache jener Zeit zeigt den Engel als Boten Gottes, mit Flügeln, aber in Menschengestalt, als einen Segen bringenden Vermittler zwischen der irdischen und der himmlischen Welt. Auf Grabsteinen symbolisiert der Enget häufig einen Begleiter, unter dessen Schutz und Geleit die Verstorbenen ins Himmelreich geführt werden.
Fragmente
Dies ist das Fragment eines ehemaligen Predigersteins. Das erhaltene linke obere Viertel zeigt eine Darstellung der Verkündigung. Innerhalb des Portals, links neben dem Bild des Gekreuzigten, kniet ein Beter in geistlicher Tracht unterhalb eines Kirchengebäudes. Die zweizeilige Inschrift scheint mit »Anno 161...« zu beginnen. Demnach handelt es sich entweder um den Stein von Hauptpastor Magister Philipp Fabricius, der 1618 verstarb oder aber um den Stein von Diaconus Heinrich Dethharding, gestorben 1613.
Es existieren noch einige Bruchstücke von Steinen. Diese Platte fand im 19. Jahrhundert eine zweite Verwendung als Grabstein: Eine eingelassene Steintafel auf der Rückseite zeugt vom Grab des Joh. Theod. Warnck.
Die Sulemannen-Gruft
Die seltene Möglichkeit, zwei der seit Jahrhunderten verschlossenen Grüfte zu öffnen, bot sich 1974 dem Lundener Kirchenvorstand.
Der Keller der Nannen und die Sulemannengruft wurden auf Verfallserscheinungen kontrolliert. Daraufhin renovierte man das Gemäuer der Sulemannen, die Gebeine wurden an anderer Stelle bestattet und der Keller der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Sulemannen-Keller mit 22 qm Fläche wurde in zwei Bauabschnitten angelegt. Den älteren, in Nord-Süd-Richtung ausgerichteten Flügel baute man um das Jahr 1600. Der ursprüngliche Kellereingang befand sich am Südende der Gruft unterhalb der mit Eisenringen
versehenen Deckplatte.
Der größere Flügel, der etwas tiefer gelegen ist, steht im Zusammenhang mit dem 1705 verstorbenen Landesgevollmächtigten und Kirchspiels- geschworenen Sul Siemsen.
Die Gebeine von 14 Menschen fand man im älteren Flügel bei der Gruftöffnung. Sie wurden in eine nachträglich gebaute Gruft unterhalb einer mit »Sulemannen« beschrifteten Steinplatte gebettet.
Die Familienoberhäupter der vornehmen Geschlechter errichteten ihre Grüfte in ähnlicher Bauweise.
Von der Gruft der Nannenfamilie existiert diese alte Rißzeichnung. Der Nannenkeller ist etwa 12 Jahre älter als die Sulemannengruft. Wie auch der ältere Teil der Sulemannengruft liegt der Nannenkeller in Nord-SüdRichtung und hat eine vergleichbare Größe. Der alte Eingang von Norden her war sehr breit und auch für die größten und prächtigsten Särge groß genug. Der heutige Eingang wurde nachträglich eingebaut, nachdem man den Keller erst 1928 wiederentdeckt hatte.
Das Geschlecht der Sulemannen
Einst besaß das reiche Geschlecht der Sulemannen die ganze Ortschaft Flehde mit der Flehder Wurth. Zurückführen lassen sich die Sulemannen bis ins 14. Jahrhundert, Als Stammvater gilt Riquardus de Viede, der 1329 Vogt wurde.
Das Geschlechterwappen zeigt eine Säule. In späteren Jahren war die Säule mit einer Krone geschmückt. Auf der Grabplatte des Sulemannen Nicolaus Harring tragen sogar Löwen diese Säule. Ein Sul oder Saul scheint der Namensgeber gewesen zu sein und Einfluss auf die Wahl des Wappenbildes gehabt zu haben.
Zu den Sulemannen gehörte auch Bojen Harring, der 1508 mit Peter Swyn zusammen eine Fehde gegen die Westerdöfte führte und sich dafür 1516 einen Ablass erkaufte. 1545 steht er zusammen mit Peter Nanne in wichtiger Mission vor dem Kaiser auf dem Wormser Reichstag. Als Dithmarschen den Kampf um seine Freiheit 1559 verliert, verhandelt er mit den Fürsten über die Kapitulation.
Aus dem Sulemannengeschlecht stammte auch die Ehefrau des fürstlich- holsteinischen Kammersekretärs Jacob Preußer, Wibke Preußer. Sie stiftete in ihrem Testament von 1631 vierzehn Morgen und zehn Scheffel Land für 23 alte, bedürftige Leute der Gemeinde Lunden. Den Ertrag von 32 Scheffeln jedoch sollten die beiden Lundener Prediger genießen, solange sie sich keiner Irrlehren schuldig machten.
Die Beisetzung von Nicolaus Harring
Drei Tage nach seinem plötzlichen Tod im heißen Hochsommer des Jahres 1611 fand die Beisetzung von Nicolaus Harring auf dem Lundener Kirchhof statt. Seine Knechte hatten ihn auf dem Acker entdeckt, vom Pferd gestürzt.
Die letzten Tage hatte er aufgebahrt in der Stube seines Hofes gelegen. Ehefrau Telsche und seine Bruder hatten unentwegt Totenwache gehalten. Harring gehörte zum mächtigen Geschlecht der Sulemannen. Nun sollte er bei seinen Vorfahren bestattet werden.
Der späte Julitag zeigte nichts mehr von der freundlichen Stimmung des bisherigen Sommers. Gerade noch rechtzeitig vor dem gewaltigen Wolkenbruch war die Prozession der Trauernden in die Kirche gelangt. Seine Familie. Angehörige des Sulemannen-Geschlechts und reiche Bauern, Geschäftspartner aus Heide und Meldorf, aber auch die ärmeren Lundener Bürger, seine Tagelöhner und Stallknechte geleiteten den Großbauern zu seiner letzten Ruhe. Pferde hatten den tonnenschweren Deckstein an seinen Eisenringen über dem Treppenabgang der Gruft weggezogen. Vorher war dies geschehen, um den düsteren Keller noch ein wenig zu belüften. Die Wände waren von Schimmel und Algen bedeckt - auf dem Fußboden ein Wirrwarr von vermodertem Holz und Gebeinen. Es war beinahe unerträglich für den Totengräber, dort hinabzusteigen. Witwe Telsche und der Trauerzug verließen hinter den Sargträgern die Kirche, die Kinder und der Pastor vorweg. Hinter den abziehenden Gewitterwolken blickte die Sonne hervor. Sechs Sulemannen trugen den Sarg dreimal um den Kirchhof bis zur Familiengruft. Die Träger verschwanden im Dunkel des Kellers. Telsche blieb betend auf der obersten Stufe stehen und begleitete ihren Mann mit den Augen auf seinem letzten Weg.
Einen Grabstein würde sie jetzt bei den Bremer Steinmetzen anfertigen lassen, darauf ein Engel und das Familienwappen. Ein wenig freier Platz würde auf der Grabplatte verbleiben - auch Telsches Name sollte dort stehen, nur ihr Todesdatum würden sie noch offen lassen.
ANNO 1611 DEN 25 IVLI IS DER ERNFESTE VND WOLGELARTER NICOLAUS HARRING SEELICHEN IHN DEM HEREN ENTSLAPEN SINES 49 IAHRE DEM G.G. SI, NICOLAUS HARRING 1611, TELSCHE HARRING 16..
Bestattungskultur
Der Tod war für die Menschen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit viel allgegenwärtiger als dies heute der Fall ist. Die Friedhöfe, also die »eingefriedeten Kirchhöfe« lagen zentral im Dorf, rund um das Gotteshaus, da man glaubte, dass die Nähe der heiligen Stätte die beste Ruhe für die Verstorbenen darstellte. Ursprünglich fanden die Bestattungen von Herrschern, Predigern und anderen bedeutenden und wohlhabenden Personen in der Kirche selbst statt. Dafür eigens angelegte Gewölbekeller unter dem Fußboden boten mehreren Särgen Raum. Als innerhalb der Kirchenmauern kein Platz mehr war, verlagerte sich diese Tradition nach draußen auf den Friedhof, so dass auch dort reiche Familien ihre Grüfte anlegten.
Pyramiden, Mausoleen und Katakomben:
Ein »Haus« als letzte Ruhestätte
Seit grauer Vorzeit schon lebt der Gedanke, die Verstorbenen nicht in der Erde, sondern in einem geschützten Raum ihre letzte Ruhe finden zu lassen.
Aus der jüngeren Steinzeit etwa überdauerten »Megalithgräber« (Großsteingräber) die Zeit. Sie bestehen aus riesigen Findlingen, die eine Grabkammer umschließen. In Ägypten gab es neben den Pyramiden der Pharaonen ganze Totenstädte (Nekropolen), etwa im »Tal der Könige«. Reiche römische Bürger ließen sich außerhalb der Stadt in familieneigene, kunstvoll gebaute Mausoleen betten. Eine ausgedehnte, unterirdische Totenstadt existierte im Römischen Reich mit einem Netz von Katakomben, in denen die Verstorbenen in Nischen eingemauert wurden.
Pfahler - Die letzte Beisetzung
Diese Gruft aus dem 16. Jahrhundert ist durch den Besitz von mindestens sechs Familien gewandert. Der erste Mensch, der hier bestattet wurde, ist der 1591 verstorbene Jurist Dr. Henning Boje, der Nachfolger Marcus Swyns in dessen Amt als Landvogt.
Schließlich ging der Keller 1856 in den Besitz der aus Schwaben stammenden Familie Pfahler über. Johann Peters Pfahler war Oberbevollmächtigter des Karolinenkooges. 1882 wurde er in einem gläsernen Sarg hier beigesetzt. Nach Schließung des Friedhofes erkaufte sich die Familie das Recht, in der Gruft Urnenbeisetzungen vornehmen zu können. Die letzte Urnenbeisetzung und damit das letzte Begräbnis auf dem alten Friedhof überhaupt fand im Jahre 1945 statt, nachdem ein Enkel des Oberbevollmächtigten in Zürich gestorben war.